Eine vielversprechende Ausstellung wird am 5. Februar in der Kunstsammlung FRAC Nouvelle Aquitaine-La MÉCA in Bordeaux eröffnet: Mit Memoria, récits d'une autre Histoire – zu Dt. etwa "Memoria, Erzählungen einer anderen Geschichte" möchten die beiden Kuratorinnen Nadine Hounkpatin und Céline Seror eine neue Sicht auf die zeitgenössische afrikanische Kunst eröffnen. "Wenn Worte und Erinnerung vergessen, getötet, gelöscht oder abgeschnitten werden, wird es unentbehrlich, eine Gegenerzählung zu enthüllen, plurale Geschichten nebeneinander bestehen zu lassen, um das Unausgesprochene auszusprechen", schreiben sie. 14 afrikanische Künstlerinnen, von denen einige, wie die Nigerianerin Otobong Nkanga oder die marokkanisch-französische Professorin Bouchra Khalili, bereits anerkannt sind, nehmen mit Arbeiten teil, die sich mit den unterschiedlichsten Materialien auseinandersetzen: Textilien, Gemälde, Videos, Plastik, Fotografie. Sie bilden eine Reise, die einerseits eine entmystifizierte Lektüre von Abschnitten der Geschichte und gängigen Vorstellungen über den afrikanischen Kontinent anbietet, andererseits an die Art und Weise errinnert, wie bestimmte Vorstellungswelten noch immer dominieren, vor allem im Bereich der Wirtschaft und der Umverteilung von Ressourcen.
Besonders hervorzuheben ist die Arbeit der ghanaischen Künstlerin Enam Gbewonoyo, die zum ersten Mal in Frankreich präsentiert wird. Sie benutzt Reste von "hautfarbenen" Strumpfhosen und Strümpfen, wie etwa Schnüre, die ihren Körper umschließen und kontrollieren. Dieser weibliche Alltagsgegenstand wird so zum Symbol für Ungleichheit und gleichzeitig Unsichtbarkeit. Ebenso bemerkenswert ist der Avatar Sophie der Südafrikanerin Mary Sibande, die uns einlädt, die Geschichte ihres Landes anhand ihrer eigenen Familiengeschichte neu zu betrachten.
Die Ausstellung ist in drei Teile untergliedert:
Der erste Teil, Vom Intimen zum Universellen, erforscht die verschiedenen Wege, die Künstlerinnen eingeschlagen haben, um aus ihren persönlichen oder intimen Erfahrungen ein kollektives Gedächtnis zu erschließen. Der zweite, Wenn das Gedächtnis zum politischen Werk wird, untersucht die kritische Dimension der Erinnerung: die Art und Weise, wie Künstlerinnen sie als Instrument der Denunziation nutzen, insbesondere was die Umverteilung und Ausbeutung von menschlichen, natürlichen und materiellen Ressourcen betrifft. Schließlich enthüllt der dritte Teil, Fabulationen, Fiktionen und andere imaginäre Werke, eine kreative, enthemmte Zukunft, mit einer Erinnerung, die überwunden und zelebriert wird. Diese Ausstellung ist Teil der Afrika 2020-Saison, einem panafrikanischen und multidisziplinären Projekt, das sich auf Innovationen in Kunst, Wissenschaft, Technologie, Unternehmertum und Wirtschaft konzentriert.
C.C
Memoria: Récits d’une autre histoire, 5.Februar bis 29.Mai 2021 bei der FRAC Nouvelle Aquitaine-La MÉCA in Bordeaux
Wie wird Männlichkeit interpretiert, sozial konstruiert und kodiert? Und wie im Gegenzug dekonstruiert? Was ist an ihr toxisch und was fragil? Und wie beeinflussen bezüglich all dieser Aspekte Bilder unsere Wahrnehmung? Damit beschäftigt sich die Ausstellung „Masculinities: Liberation through Photography“ von Kuratorin Alona Pardo, die am 16. Oktober im Berliner Gropius Bau eröffnet wird. Zuvor war sie im Londoner Barbican Center zu sehen. Über 300 fotografische und filmische Werke von 50 KünstlerINNEN rund um den Globus bieten dabei eine Inspirationsfläche zur Auseinandersetzung und geben gleichzeitig eine historische Perspektive auf diese Thematik – von den 1960ern bis heute. Darunter sind unter anderem Bilder von Laurie Anderson, Richard Avedon, Peter Hujar, Isaac Julien und Catherine Opie. Im Fokus stehen Kategorien wie das Patriarchat, Rasse, sozialer Status, Sexualität, Queerness sowie Macht, aber auch der weibliche Blick auf Männer und die Frage nach Identität. Die Filme und Fotos zeigen etwa Väter und Söhne, Soldaten außer Dienst, Homosexuelle auf der Christopher Street, Transgender, Cowboys oder Muskelmänner und offenbaren oft Verletzlichkeit.
Jana Idris
Masculinities: Liberation through Photography, Gropius Bau Berlin, 16. Oktober bis 10. Januar 2021
Ist Angst ein guter Begleiter? Diese Frage durchstreift den Film Endzeit, den sicherlich aufregendsten deutschen Film des Jahres. In diesem düsteren Märchen, das auf der gleichnamigen Graphic Novel Endzeit basiert, hat eine Seuche die Erde heimgesucht. Menschen haben nur noch in zwei Städten überlebt, Jena und Weimar. Die zwei jungen Protagonistinnen, die ängstliche Vivi und die kaltblütige Eva, versuchen von Weimar nach Jena zu kommen und müssen dafür durch die verbotene Zone fahren. Während dieses Horrortrips werden sie von etlichen Zombies und ihren eigenen Schuldgefühlen verfolgt. Der Film mit unübersehbarer weiblicher Handschrift, Regie führte die in Berlin lebende schwedische Regisseurin Carolina Hellsgard mit einem überwiegend weiblichen Team, erzählt mit den Mitteln des Horrorgenres, einem Genre, das als "männlich" wahrgenommen wird, die Geschichte einer Suche nach einem Platz in der Welt. Die Untoten werden zu Symbolen der inneren Kämpfe und Reibungen, die mit der Entscheidung für Freiheit und gegen Angst einhergehen. Während dieser bedrohlichen Reise werden sich die Gefühle von Vivi und Eva zu sich selbst, aber auch zueinander verwandeln und sie werden erfahren müssen, dass die Erlösung sich nicht an dem Ort befindet, an dem sie sie erwartet haben. In einer Zeit, in der diffuse Ängste von rechtspopulistischen Parteien instrumentalisiert werden und damit Erfolge feiern, wie die aktuellen Ergebnisse der AfD in Brandenburg und Sachsen nochmals bewiesen haben, wirkt Endzeit wie eine politische Botschaft. Die abgeriegelten Städten von Weimar und Jena mit Sicherheitszäunen und Außengrenzenschutzdiensten sind wie ein Spiegel unserer aktuellen Debatten in Europa und Deutschland über Migration und Flüchtlinge. Draußen ist die Landschaft wunderschön, aber die Grausamkeit lauert an jeder Ecke. Die passive Vivi schluckt lieber Pillen als sich ihrer Vergangenheit zu stellen, während ihrer Komplizin Eva ihre bedrohende Infektion mit Härte versteckt. Manchmal trägt der Film Züge von Ökofeminismus, wenn Vivi sich von einer geheimnisvollen Frau, aus deren Körper Pflanzen wachsen, retten lässt und durch eine Art Garten Eden mitten in dieser Öko-Apokalypse schlendert. Es sind auch diesen vielen unterschiedlichen Ebenen, die diesen Film manchmal verkomplizieren und dessen Wirkung schwächen. Trotzdem bleibt Endzeit ein mutiger Film, der uns auch in Zukunft in Erinnerung bleiben wird.
C.C
Endzeit; Regie: Carolina Hellsgard; mit Gro Swantje Kohlhof und Maja Lehrer;
England, Anfang des 18. Jahrhunderts am Hof von Königin Anne. Drei Frauen kämpfen um Macht und Liebe, kurz ums Überleben – mit wunderbaren Intrigen und vor prächtiger Palastkulisse.
Im gefeierten Film „The Favourite“ spielt die Britin Olivia Colman grandios verwahrlost die launische sowie körperlich und psychisch stark angeschlagene Königin Anne. Das königliche Riesenbaby tritt mal aufbrausend, mal hilflos vor die Untergebenen. Die Staatsgeschäfte kann sie jedenfalls nicht mehr handeln. Am liebsten zieht sie sich in ihre Gemächer zurück – entweder mit ihrem plüschigen Kinderersatz – ihren 17 Hasen – oder ihrer engsten Vertrauten Lady Sarah (gespielt von Rachel Weisz). Letztere wiederum weiß die Lage ihrer Majestät für sich zu nutzen: Sie stellt Anne mit sexuellen Diensten ruhig und reißt die Regierungsgeschäfte an sich. Ihr Ziel: den Krieg gegen Frankreich durchführen und mit Steuergeldern finanzieren. Eine Beziehung, die auf Abhängigkeiten wie Leidenschaften beruht und in die eines Tages plötzlich die verarmte Lady Abigail platzt. Der Palast wird zur Arena, in der sich die Ladys skrupellos auf ihrer Schlacht gegen den Abstieg und um den Aufstieg zerfleischen.
Die intelligente Satire „The Favourite“ des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos räumte bei den diesjährigen Bafta-Awards, den renommierten britischen Film- und Fernsehpreisen, sieben Auszeichnungen ab. Der Film erhielt u.a. den Bafta für den besten Film. Colman wurde für ihr Spiel mit dem Bafta als beste Schauspielerin ausgezeichnet und Rachel Weisz als beste Nebendarstellerin. Der Film startet mit zehn Nominierungen ins Rennen um die Oscars, die am 24. Februar verliehen werden.
Jana Idris
„The Favourite", Regie: Yorgos Lanthimos; mit: Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone; seit 24. Januar 2019 im Kino
Bei einem solchen Titel mögen die ZuschauerInnen sofort an eine Reise in die weibliche Sexualität denken. Dies ist jedoch nicht der Fall. Viel mehr geht es um die Verhinderung und Beschneidung dieser Lust durch die Geschichte von fünf Frauen aus verschiedenen kulturellen und religiösen Kreisen. Diese Feststellung ist anfangs irritierend, denn man befürchtet abermalig einen Opferdiskurs. Aber je mehr der Film in die Leben der fünf Protagonistinnen eintaucht, desto tiefer wird man von diesen Charakteren, die eine Geschichte unserer heutigen Zeit erzählen, berührt. So könnte man der lebhaften Leyla Hussein, einer somalische Aktivistin die gegen die weibliche Genitalverstümmelung kämpft, stundenlang zuhören. Obwohl ihr Lebensweg schmerzlich ist, die Tränen in ihrem Gesicht immer wieder zu sehen sind, beeindruckt sie mit ihrer kraftvollen wie stolzen Haltung. Ebenfalls ist es schwer, sich dem Humor der japanischen Künstlerin Rokudenashiko zu entziehen, wenn sie keck ihre 3-D-Vulvamasken herstellt und malt. Ihre Auseinandersetzung mit der japanischen Justiz, die ihr "Obszönität" vorwirft, lässt die patriarchalen Strukturen lächerlich aussehen und bringt den Zuschauer oft zum Lachen. Durch Vithika Yadav, Gründerin der indischen Plattform Love Matters, erfährt man wiederum, wie wenig über Liebe und Gefühle in der indischen Gesellschaft gesprochen wird, während sexuelle Belästigung trauriger Alltag bleibt. Nein, diese Frauen sind keineswegs nur Opfer. Auf sehr unterschiedliche Weise, lastete ein immenser Druck auf sie: sei es durch ihre Familien oder ihre religiöse Gemeinden, die stets darauf aus sind, bestimmte, konforme weibliche Verhaltensmuster durchzusetzen. Aber die besagten Frauen haben sich davon befreit und schöpfen daraus eine immense Kraft. Immer wieder unterstreicht der Film dabei auch die Rolle der Frauen bzw. der Mütter, die bei der Wiederholung übermittelter Normen und patriarchaler Rituale, wie etwa der weiblichen Genitalverstümmelung, die größte Verantwortung tragen. Allein dieses Thema könnte einen ganzen Film füllen. Insgesamt bleibt #Female Pleasure ein starkes Plädoyer für weibliche Autonomie.
C.C
#Female Pleasure, ein Film von Barbara Miller, seit 8.11.18 im Kino.
Die nigerianische Autorin Sylvia Ofili und die Hamburger Zeichnerin Birgit Weyle erzählen die Geschichte eines Lebens in zwei Welten: eine Kindheit in Nigeria mit einer deutschen Mutter und einem nigerianischen Vater, den Wechsel von der Provinz wo jeder jede kennt, zur anonymen Großstadt, in der andere Regeln herrschen und ihre ersten Schritte als schwarze, afrikanische Frau in Deutschland. Um uns die Welt der Heldin Olivia Evezi, näher zu bringen, wechselt die Zeichnerin mit Virtuosität zwischen realistischen und traumartigen Bildern. Die Frage des Außenseiters, der Identität und der kulturellen Codes durchziehen die ganze Graphic-Novel. Auch wie man sich gegenüber Unrecht und Unterdrückung verhält. Durch die Erfahrungen der Heldin, schlüpft man in die Haut eines schwarzen Menschens, der das erste Mal nach Europa kommt und trotz eines deutschen Passes, zuallererst als Fremde wahrgenommen wird. Höchstens wird sie von manchen studentischen Kommilitonen als exotisch betrachtet. Die besten Freunde von Olivia Evezi, ein Blumenverkäufer, eine Toilettendame helfen illegalen Migranten am Hamburger Hauptbahnhof wie sie können. Diese Menschen und deren Schicksal, die schon lange keine Gesichter und Menschlichkeit in vielen Medien mehr bekommen, werden durch diese Erzählung wieder sichtbar und fühlbar. Ein sehr aktuelles Comics-Buch.
GERMAN CALENDAR NO DECEMBER, Sylvia Ofili und Birgit Weyle, Avant-Verlag, 2018.
C.C
So muß es sich anfühlen im Auge des Orkans : wenn es wütet und donnert, rauscht und hämmert, wummert und heult, oft ohrenbetäubend laut. Und dann werden Maja Ratkjes elektronischen Soundarrangements wieder ganz leise und die Klänge so subtil, daß man Tropfen fallen hört und die Künstlerin nur noch raunt. Zum Auftakt der sechsten Auflage des Festivals A l’Arme bespielt die norwegische Komponistin und Sängerin mit einem ihrer seltenen Solo-Auftritte das gefühlt 40 Grad heiße Radialsystem in Berlin. Ratjke, die sich selbst als Anarchofeministin bezeichnet, nimmt das Publikum auf ihrem mal geheimnisvollen, mal brachialen Trip mit an die Front der Neuen Musik. Virtuos wickelt die 44-Jährige ihren Gesang in Loops, schleudert Töne und Geräusche wie Blitze durch den Raum, steigert die Bässe ins Unerträgliche, verfremdet live gesungene Melodiefetzen allmählich zu kreischenden Soundattacken.
Derart durchgerüttelt treffen die schweißgebadeten Zuhörer im zweiten Teil des Konzerts auf die US-Performance-Legende Laurie Anderson, die in Berlin erstmals zusammen mit Bill Laswell und dessen « Kollisionsensemble » Method of Defiance spielt – frei nach Laswells Motto « Nichts ist richtig, alles ist erlaubt ». Mit ihrer elektrischen Violine entspinnt die weiß gekleidet, koboldhaft wirkende Anderson Dialogfragmente mit ihren Mitstreitern an Trompete, Bassgitarre oder Schlagzeug. Über drängende Grooves aus dem Drum’n’Bass, Dub oder Hiphop legt Dr. Israel seinen Sprechgesang, der Trompeter Graham Haynes lässt mit tranceartigen Soli eine Traumwelt entstehen, in der die 71-jährige Anderson mit ihren Pizzicati auf der Geige wandelt.
Auch an diesem experimentellen Abend tritt Anderson ans Mikrofon, um mit ihrer weichen Stimme von der Wahl Donald Trumps zu erzählen und das Publikum dann aufzufordern, für zehn Sekunden zu schreien – im Gedanken an die Tweets des US-Präsidenten, Nordkorea oder « all die Dinge, die gerade in Eurem Leben falsch laufen ». Am Kollektivschrei gemessen muß der Frust der Zuschauer beträchtlich sein.
Es ist ein furioser Auftakt des Festivals, das in sein sechstes Jahr geht. « Störung aus Prinzip. Lärm als Bereicherung. Klang als Material für Erfahrung und Erkenntnis » : So bringt Arno Raffeiner im Programmheft den Anspruch des Festivals auf den Punkt, das bis Samstag weitere Avantgardekünstler wie das Improvisatorinnen-Trio Joëlle Léandre, Matilda Rolfsson und Elisabeth Harnik zeigt.
Zu wünschen ist, dass bei allem Lärm der Sound nicht untergeht – nachdem am Eröffnungsabend die eindrucksvollsten Klangbauten leider ein ums andere Mal weit über die Schmerzgrenze beschallt wurden.
Hanna Pflüger
Der Titel ist bewußt etwas provokativ wie für eine Streitschrift ausgesucht. Dahinter verbirgt sich aber ein sehr gut recherchiertes Sachbuch der Psychologin Sandra Konrad, das alle Themen rund um die weibliche Sexualität untersucht, beginnend mit einem historischen Teil über die männlichen Normen bei der weiblichen Sexualität bis zu der Frage der weiblichen sexuellen Freiheit. Dazwischen beleuchtet sie die Wirkung vieler aktueller Themen wie Prostitution, Pornografie oder sexualisierte Gewalt auf das Frauenbild. Ihre These besteht darin, daß viele Frauen besonders die jungen, immer noch vielen männlichen Normen hinter dem äußeren Mantel eines emanzipatorischen Verhaltens, folgen.
« Wie frei und sexuell selbstbestimmt sind Frauen im 21.Jahrhundert? Hat weibliche Sexualität sich emanzipiert oder lediglich maskulinisiert? Und wie viel wissen Frauen wirklich über ihre eigene sexuelle Identität? ». Um diese Fragen zu beantworten entlarvt die Psychologin bis heute wirksame Geschlechterklischees. So wird bis heute zum Beispiel in der Alltagssprache der pejorative Begriff « Nymphomanin », der früher aktiv sexuelle Frauen beschrieb, verwendet. Mit einem vorsichtigen Ton, aber auch manchmal einer angenehmen subjektiven Sprache verbindet sie psycho-historische Erkenntnisse mit aktuellen Forschungsergebnissen aus der Sexualwissenschaft und zahlreichen Interviews mit jungen Frauen und zeigt wie unbewusste Rollenvorgaben noch heute die Weiblichkeit, das Begehren und die Sexualität von Frauen prägen. Ein zugleich lehrreiches und zum Nachdenken anregendes Buch.
C.C
Sandra Konrad, Das beherrschte Geschlecht, warum sie will was er will. Piper. 2017.
"Build me a House", singt das Wesen, nicht ganz von dieser Welt, eine junge Frau mit knallrotem Lippenstift in einem bläulichen gummiartigen Schnecken-Anzug mit Fühlern, aber ohne Haus. Im Hintergrund ein folkoristisch anmutender Frauenchor, während die Schnecke am Flügel sitzt und von ihrem Haus träumt. So ungewöhnlich-surreal ihre Videos, so experimentell ist die Popmusik von Sophia Kennedy. Ihre Stimme: dunkel, klar und sehr selbstbewußt. Die Klänge: mal Crooner, mal R´n´B, mal minimalistisch. Klavier neben Orgel neben Elektro. Sophia Kennedy spielt mit Sprache und textet ins Absurde, manchmal wird es melancholisch, manchmal fast pathetisch. Die in den USA geborene Musikerin kam als Kind nach Deutschland und lebt heute in Hamburg. Mit 27 schrieb sie ihr erstes eigenes Album: ein Jahr lang arbeitete die junge Frau an dem Debüt, mitproduziert von Mense Reents von den Goldenen Zitronen. 2017 erschien die Platte bei Pampa Records - auch für das auf Elektromusik spezialisierte Label von DJ Koze war das erste Songwriter-Album eine Premiere.
Hanna Pflüger
Dieser engagierte Essay konnte mir nicht entgehen. Ich habe ihn spät entdeckt, aber was für eine Entdeckung! Im Jahre 1975 in Frankreich veröffentlicht und erst 2013 auf deutsch erschienen, dieses Manifest fühlt sich wie eine Vulkanexplosion an. Durch den subjektiven und kämpferischen Ton, die poetische und verspielte Sprache, den von Psychoanalyse und Dekonstruktion geprägten Gedankenstrom, wird man mitgerissen, und lässt sich gern auf dieser Reise ewig treiben. Die Feministin Hélène Cixous appeliert, nein, viel mehr, sie schreit nach einer écriture féminine. " Und warum schreibst Du nicht? Schreib! Schrift ist für Dich, Du bist für dich, Dein Körper ist dein, nimm ihn." Sie, die sich selber nie als Feministin gesehen hat, stellt das weibliche Begehren und dessen Körper in den Mittelpunkt dieser neuen Schrift: ein Motiv, das von vielen männlichen Stimmen wie Sigmund Freud als schwarzer Kontinent beschrieben wurde. Darin sieht sie eine Parallele zwischen der Kolonisierung des weiblichen Körpers und des afrikanischen Kontinents. Höhepunkt ihres Textes ist die Umkehr der Darstellung der mythischen Figur Medusa, die oft als eine die Männer kastrierende, weibliche Schreckgestalt gedeutet wird. Nein, sie ist nicht tödlich, schreibt Hélène Cixous "Sie ist schön und lacht". Ein weiterer, schöner Ansatz der Schriftstellerin, die sowohl mit Jacques Derrida als auch Michel Foucault befreundet war, stellt ihr Denken dar, das Frauen in ihrer Vielfalt betrachtet: "Es gibt (...) keine allgemeine Frau, keine typische Frau". Ein essenzieller Text, von dem man nicht genug bekommt.
C.C
Hélène Cixous, Das Lachen der Medusa, zusammen mit aktuellen Beiträgen. Herausgegeben von Esther Hutfless, Gertrude Post, Elisabeth Schäfer. Passagen Verlag. 2013