Weibliche Stimmen aus der Pandemie

Wie erleben Frauen in Afrika, Asien oder Südamerika die Pandemie und ihre Folgen? Wir wollten auf Horizonterweiterung gehen und und haben mit vier Frauen aus Brasilien, Indien, dem Sudan und Senegal über ihre Erfahrungen in dieser Krise gesprochen. Dabei merkten wir schnell: Zwischen den Problemen dieser Frauen und denen in Deutschland oder in Europa gibt es mehr Gemeinsamkeiten als mancher denken mag. Die Corona-Krise verfestigt rund um den Globus die bereits bestehenden Ungleichheiten. Die politischen und sozial-ökonomischen Rahmenbedingungen mögen sich zwar von Land zu Land unterschiedlich auswirken. Doch weltweit berichten Frauen von einem starken Anstieg der häuslichen Gewalt, einer wachsenden Wirtschaftsmisere, Probleme durch verschobene Abtreibungen sowie die immense Zunahme von unbezahlter Hausarbeit. Dieses gemeinsame, kollektive Erlebnis hat das Potenzial, den Kampf um strukturelle Veränderungen sowie mehr Teilhabe und Gleichberechtigung zu befeuern. Dennoch ist auch zu befürchten, dass viele Betroffenen am Ende dieser Krise nicht mehr viel Energie übrig haben werden, um sich aktiv für die Neugestaltung der Post-Corona-Gesellschaft einzusetzen.

 

C.C und J.I

Senegal. Lieber vom Virus als vom Hunger sterben

© Amy Sahko
© Amy Sahko

„Das Hauptproblem der Frauen hierzulande ist der Rückgang des Einkommens. Der Notstand, der bis zum 2. Juni gilt, bedeutet für viele von ihnen einen Stopp oder zumindest eine starke Einschränkung ihrer Tätigkeit. Die meisten Märkte und kleinen Shops, in denen viele Frauen ihr tägliches Geld verdienen, wurden geschlossen. Zudem verschärft die Ausgangssperre von 20 bis 6 Uhr morgens und das Reiseverbot innerhalb der verschiedenen Regionen und Städte die Arbeitsbedingungen von Frauen, die zum Beispiel im Fischhandel arbeiten und morgens sehr früh zum Hafen fahren müssten. Daher hat unser Juristinnen-Verein Essen und Hygieneprodukte für eine Gesamtsumme von 16.093 Euro an bedürftige Frauen verteilt. Auch inhaftierten Frauen, die nicht mehr besucht werden dürfen, haben wir geholfen. Es gibt auch viel Solidarität unter Frauen in den Vierteln, die sich ihr Essen untereinander teilen. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist umso größer, da der senegalische Staat sehr spät angefangen hat, Lebensmittelspenden zu verteilen. In den armen Vierteln ist das Motto vieler: lieber vom Virus als vom Hunger sterben. Sie halten sich deswegen zum Teil nicht an die Kontaktverbote. Die Schließung der Schulen hingegen wird weniger beklagt, weil sich bei uns immer jemand findet, der auf die Kinder aufpassen kann, sei es eine Tante oder Cousine. Unsere Familienstrukturen sind anders als in Europa, bei uns bestehen die Familien nicht nur aus Vater, Mutter und Kindern. Zudem sind die Frauen hierzulande daran gewöhnt, für die Kinder und den Haushalt zuständig zu sein. Das ist natürlich schwieriger in einer Großstadt wie Dakar, wo die Familienkonstellationen anders sind als aufs Land sind. Eben kleiner. Unser Verein hat ebenfalls eine leichte Erhöhung der häuslichen Gewalt beobachten können. Normalerweise beraten wir sehr viele Fälle von häuslicher Gewalt, sie machen etwa 70 Prozent unserer Mandantinnen aus. Doch jetzt scheinen viele von ihnen erst einmal mit dem blanken Überleben beschäftigt zu sein.“

 

Amy Sahko, 40 Jahre, Sprecherin des Vereins der Juristinnen im Senegal.

Oumy, (die anonym bleiben wollte) arbeitet als PR-Beraterin.

Brasilien. Die vier Wände sind kein geschützter Raum

© Claudia Camilo
© Claudia Camilo

„Aufgrund des Lockdown ist die häusliche Gewalt in meiner Heimat in die Höhe geschossen. Hilfsorganisationen für Gewaltopfer berichten von einer Verdreifachung der Fälle. Allein in Rio de Janeiro nahmen diese laut Justizministerium innerhalb von vier Tagen um 50 Prozent zu. Feminizide waren in Brasil bereits vor der Pandemie ein großes Thema. Für viele Frauen sind die vier Wände kein geschützter Raum. Zwischen 2007 und 2017 haben etwa 40 Prozent der Morde an Frauen zuhause stattgefunden (Quelle: Ipea, Atlas da Violencia 2019). Anfang Mai startete UN Women deswegen gemeinsam mit einigen Fernsehsendern eine Informationskampagne. Dabei wurden die Menschen dazu aufgerufen, die Polizei zu kontaktieren, falls sie Zeugen von Gewalt werden. Besonders schwarze und indigene Frauen haben es in der Krise sehr schwer. Oft haben sie keine festen Stellen und sind nun arbeitslos. Wegen des plötzlichen Lohnausfalls stehen folglich viele Familien, besonders in den Favelas, vor dem Abgrund. Auf Anweisung der Gouverneure bieten mittlerweile viele Schulen ein warmes Mittagessen zum Mitnehmen an, obwohl sie eigentlich geschlossen sind. Zusätzlich lassen die Bürgermeister Essenspäckchen in den Armenvierteln verteilen.

Um die Not der armen Bevölkerung zu lindern, hat der brasilianische Kongress zudem einstimmig monatliche Hilfen in Höhe von 600 Real (etwa 155 Euro) für Arbeitslose und 1200 Real (etwa 310 Euro) für alleinerziehende Mütter verabschiedet. Diese Maßnahme gilt zunächst für drei Monate.

Außerdem zahlt besonders das Pflegepersonal einen sehr hohen Preis während der aktuellen Pandemie: Aufgrund des Mangels an Schutzkleidungen, Masken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln, sind bis Mitte Mai bereits 109 Menschen aus dieser Berufsgruppe gestorben – darunter mehrheitlich Frauen. Das sind, verglichen mit Ländern wie Italien, Spanien und den USA, sehr hohe Zahlen. Eine Mahnwache in Erinnerung an die Toten fand am 12. Mai in Brasilia statt.

In dieser schwierigen Lage gibt es aber zumindest einen Grund zur Freude: Das Bewusstsein für die Emanzipation von Frauen scheint zu wachsen. Mehrere Frauengruppen und feministische Vereine bieten kostenlose Online-Kurse und Weiterbildung zu verschiedenen Themen an. Es gibt inzwischen über 40.000 Teilnehmer, darunter Bewohner aus Favelas und aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen und Geschlechtern. Ich selber bin in sieben Gruppen angemeldet. Denn auch ich spüre in meinem Leben als Frau die Folgen der Pandemie. Neben den besonderen Hygienemaßnahmen, wie dem Desinfizieren im Haus und dem häufigen Waschen, muss ich mich als Hauptverantwortlich auch um meinen zehnjährigen Sohn und den Haushalt kümmern, während mein Ehemann uneingeschränkt und ohne zusätzliche Belastungen weiterhin seinem Beruf nachgehen kann.“

 

Claudia Camilo, 45 Jahre, Anthropologin, promoviert zum Thema Ethik-Care und Dekolonisierung an der Bundesuniversität São Paulo.

Sudan. Gewalttätige Männer berufen sich oft auf Religion

© Wasen
© Wasen

„Die Corona-Krise trifft uns im Sudan sehr hart. Das öffentliche Leben steht still und wir wissen absolut nicht, wann es wieder losgeht. Ohne Genehmigung dürfen wir nicht von einer Stadt in die andere. Das geht nur mit einer Ausnahmegenehmigung, die es für die Ausübung bestimmter Berufe gibt. Hier in der Hauptstadt Khartoum, wo ich lebe, gibt es nur ein Krankenhaus, das überhaupt die Kapazitäten und medizinischen Möglichkeiten hat, Corona-Patienten aufzunehmen. In den Dörfern ist die Lage aber noch schlimmer. Es gibt kaum Hilfe, die Menschen sind auf sich allein gestellt. Diese Situation verschlimmert leider ein wesentliches Problem, das wir im Sudan haben: die Gewalt von Männern gegen Frauen. Frauen, Kinder und Männer sind aktuell, wie auch in anderen Ländern, den ganzen Tag zu Hause eingesperrt. Nicht nur, dass so die ganze Belastung rund um Kinderbetreuung, Haushalt etc. an den Frauen hängenbleibt – auch die Gewalt gegen sie nimmt zu. Aus meinem eigenen persönlichen Umfeld kenne ich Betroffene. Von der Polizei oder Regierungsbehörden ist nicht wirklich Hilfe zu erwarten. Sie stehen sowieso auf der Seite der Männer. Besonders schlimm ist, dass gewalttätige Männer sich oft auf Religion berufen. Obwohl laut Koran jede Form von Gewalt absolut verboten ist, legen sie die Schrift so aus wie sie wollen. Nach ihrer Interpretation gibt ihnen der Islam eben das Recht, ihre Frauen zu schlagen. Ein anderes Phänomen während der aktuellen Pandemie ist, dass Ärztinnen in Kliniken von Patienten, bei denen sie Corona-Tests durchführen, attackiert werden. Zwar gibt es auch hierzulande einige Hilfsorganisationen, die sich für Frauenrechte einsetzen, aber die sind klein und nicht wirklich gut organisiert. Es fehlt ihnen an Strukturen und Mitteln. Zudem schämen sich viele Frauen, um Hilfe zu bitten. Es bleibt in der Regel nur die Zuflucht zur eigenen Familie. Leider schafft die gesamtgesellschaftliche Situation im Sudan den perfekten Rahmen für all diese Übergriffe. Frauen haben in meinem Heimatland kaum Rechte.“

 

Wasen, 29, Uniabsolventin (BWL) aus Khartoum, Sudan

Indien. Ein Moment der großen Zerbrechlichkeit

© Rosalyn D'mello
© Rosalyn D'mello

„Ich wohne in Kailash Hills, im Süden von Delhi, ein bürgerliches Viertel. Meine Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses grenzt an ein großes Arbeiterviertel, genannt Basti. Dort leben sehr viele Menschen mit prekären Jobs und ohne Festanstellung, darunter etwa Obst- und Gemüsehändler, auf engem Raum zusammen. Seit dem Lockdown kriege ich von meiner Wohnung aus oft nachts Streitereien und Handgreiflichkeiten zwischen Männern und Frauen mit. Genau kann ich aber nicht sagen, aus welchem Haus es kommt und ob es sich tatsächlich um häusliche Gewalt handelt. 

Die Regierung denkt überhaupt nicht an die Frauen, die einen großen Preis in dieser Krise zahlen müssen. Frauen erleben wie schon so oft zuvor, dass es nicht der richtige Moment ist, um über ihre Probleme zu sprechen. Diese Krise stellt für Frauen und überhaupt für viele Menschen einen Moment von großer Zerbrechlichkeit dar.

Millionen Menschen, die nicht mehr ihre Miete zahlen konnten, weil sie ihre Jobs verloren haben, haben sich auf den Weg quer durchs Land nach Hause gemacht. Und viele kleine Händler arbeiten nach wie vor, weil sie keine andere Wahl haben.

Auch für mein Leben stellen die Folgen des Lockdowns eine Herausforderung dar. Meine Zeitung, für die ich seit 2016 schreibe, kann mich aufgrund der Liefer- und Vertriebsschwierigkeiten nicht mehr pünktlich bezahlen. Zudem hätte ich meine Wohnung aufgeben müssen und mit meinem Partner, einem Italiener, in seine Heimat nach Südtirol fahren sollen. Jetzt müssen wir aber erst einmal abwarten, bis es wieder Flüge gibt. Trotzdem bin ich im Vergleich zu vielen anderen Millionen Menschen in Indien sehr privilegiert, weil ich zum Beispiel meine eigene Wohnung habe. Als Feministin ist mir der intersektionelle Charakter dieser Situation sehr bewusst und ich betrachte sie als eine Krise, die ein absolutes Worst-Case-Szenario aufzeigt. Die Folgen der Corona-Pandemie sind nämlich eine furchbare Verbindung zwischen den schlimmen Auswirkungen von Patriarchat, Kapitalismus und einer Politik zugunsten der Banken."

 

Rosalyn D’mello, 35 Jahre, ist eine feministische Autorin und Kulturjournalistin