Böse Frauen: ein gesellschaftliches Tabu

© seriykotik1970 by Flickr licence CC BY-SA 2.0 From an original photograph by Nadar: Sarah Bernhardt as Lady Macbeth.
© seriykotik1970 by Flickr licence CC BY-SA 2.0 From an original photograph by Nadar: Sarah Bernhardt as Lady Macbeth.

 

 

Wegen des Prozesses gegen Harvey Weinstein gerät eine Frau aktuell besonders in den Fokus der Medien: seine Anwältin Donna Rotunno. Seit letztem Sommer steht die 44-Jährige an der Spitze seines Verteidiger-Teams und die ganze mediale Welt scheint sich offensichtlich zu fragen: Warum tut sie das? Mal wird die Frau mit italienischen Wurzeln als « Anti-Heldin" bezeichnet, mal wird das Bild der Bulldogge bedient. Kurz: Diese Frau fasziniert, weil sie 

« die Advokatin des bösen Mannes ist», wie Der Spiegel kürzlich schrieb. Dass eine Frau genauso wie ein Mann karrierebewusst und opportunistisch handelt, scheint im 21. Jahrhundert immer noch nicht selbstverständlich. Nehmen wir ein anderes Bild: Eine Mutter, die ihre Kinder misshandelt hat, wird von einem Verteidiger vertreten, der auch noch Vater ist. Würde es irgendjemanden verwundern, gar schokieren? Natürlich nicht. Die Kommentare zu Donna Rotunno sagen viel über die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und letztendlich deren Platz in unserer Gesellschaft aus. Eine Frau sollte sich ja automatisch für die Guten entscheiden und sich nur für die Opfer engagieren. Denn Frauen übernehmen maßgeblich die Care-Jobs, kümmern sich nach wie vor überwiegend um Kindererziehung, Pflege und Haushalt und verdienen weniger Geld. Im kollektiven Imaginär stehen sie dementsprechend für Sanftheit, Geduld und Güte. Brechen sie dieses Ideal, werden sie sofort zu einer Kuriosität. Sie scheinen für viele nicht mehr ganz menschlich, ganz Frau sein. Frauen, die sich von solchen Normen entfernen, werden immer verteufelt, beinahe als Monster wahrgenommen. Sie werden als Hyänen, Hexen, Dämonen, Hysterikerinnen, Schlangen o.ä. bezeichnet. Die Figur der Lady Macbeth bei Shakespeare ist da beispielhaft. Sie drängt ihren Mann zu einem Mord und sagt zu ihm « unsex me », als könnten das weibliche Geschlecht einerseits und das Töten andererseits nicht zusammenpassen.

 

Dass Frauen genauso wie Männer für das Böse einstehen, Gewalt im Kauf nehmen und unmenschlich sein können, wird entweder verdrängt oder relativiert. Sehr spät haben sich zum Beispiel die historische Forschung und die Öffentlichkeit für die Rolle der Frauen im Dritten Reich interessiert. Bis in die 1990er Jahre wurde die Frau in der Nazizeit ausschliesslich als passive Figur oder Opfer wahrgenommen. Dass viele Frauen das Naziregime fanatisch bejubelten und unterstützt haben, dass sie auch selber Gewalt angewandt haben, wurde erst in den 1990ern beleuchtet. In ihrem im Jahr 1997 erschienen Buch Eine Frau an seiner Seite weist die Soziologin Gudrun Schwarz die wichtige Rolle von SS-Ehefrauen nach: Sie waren nicht nur Mitwisserinnen der Taten ihrer Männer, sondern aktive Komplizinnen und Mittäterinnen. « So besuchten sie etwa ihre Männer am Einsatzort oder wohnten jahrelang in den Siedlungen am Rande der Konzentrationslager, wo sie ihre Kinder aufzogen, Feste feierten, den « Arbeitsplatz » ihrer Männer besichtigten und sich auf die ihnen verheißene Rolle der neuen Herrscherinnen im Osten vorbereiteten », schrieb Schwarz. Doch solche Bücher wurden und werden nie zum Bestseller und diese so wesentliche Diskussion über die Mitverantwortung der Frauen bleibt einem größeren Publikum leider meistens vorenthalten. In den Jahren 2000 erschienen zwar viele Dokumentationen und Biografien über die Gefährtinnen von Nazigrößen, doch wiesen diese Frauen überwiegend die Rolle von Statistinnen zu.

 

Frauen wie Donna Rotunno, die keine Berührungsängste mit den dunklen Seiten der menschlichen Psyche haben, - sie hat schon etliche mutmaßliche Sexualstraftäter vertreten-, spalten und ziehen zugleich an. Diese Faszination lösen auch Frauen in rechtsextreme Parteien aus. Die Karrieren und Rollen von Frauke Petry und Alice Weidel in der AfD wurden stets mit großem medialen Interesse begleitet. Sie konnten auch sehr effizient ihr Frausein einsetzen und dazu entscheidend dazu beitragen, ihre Partei salonfähiger zu machen. Diese Strategie war auch sehr erfolgreich bei der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement national. Als die Politikerin Marine Le Pen 2011 die Führung der Partei von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernahm, verjüngte sie die Partei nicht nur, sondern sie brachte auch zahlreiche neue Wähler mit, insbesondere Wählerinnen. Seitdem gibt es in den Politikwissenschaften den sogenannten Le-Pen-Effekt. Der Begriff geht auf eine Studie von der Politikwissenschaftlerin Nonna Mayer aus dem Jahr 2013 zurück. Ihre These: Mit derselben rechtspopulistischen Agenda erreichen Frauen mehr Wähler als Männer. Sie können glaubwürdiger für nationale Interessen eintreten, sozusagen als sorgende Mütter der Nation. Auch Donna Rotunno ist sich der Vorteile ihres Geschlechtes für den Fall bewusst. Sie betonte in einem Interview, dass sie die Zeugen und in diesem Fall besonders Zeuginnen aggressiver als jeder männliche Kollegen befragen könnte "ohne, das jemand mit der Wimper zuckt ».

 

 

Dieses Frauenbild ist nachvollziehbar: Die meisten Mörder, Amokläufer sind Männer und die Gefängnisse weltweit vornehmlich mit männlichen Insassen gefüllt. Unter den 175.714 Tatverdächtigen, die in Deutschland von der Kriminalstatistik im Jahr 2018 registriert wurden, waren 150.527 Männer. Die Kultur der klassischen Männlichkeit, heutzutage als toxische Männlichkeit bezeichnet, die mit Aggressivität, Performanzkult, Eroberung einhergeht, bleibt nach wie vor das dominante Modell. Und die Opfer von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen sind nach wie vor überwiegend Frauen. Im Jahr 2018 wurden 8851 weibliche Opfer von 9324 Opfern insgesamt in Deutschland registriert. Nur: Frauen sind keineswegs ausschließlich Opfer. Viele Frauen stützen ebenso das Patriarchat und seine gewalttätigen Folgen. Dies ist aus meiner Sicht auch der blinde Punkt bei der #MeToo-Debatte: Hätten alle Frauen gegen das Patriarchat längst revoltiert, würde es längst nicht mehr existieren. Nur gibt es genug Frauen, die darin ein Interesse finden, dieses System zu erhalten – auch ohne sich dessen bewußt zu sein. Das erklärt die vielen Trump-Wählerinnen oder fanatische Nazifrauen.

Viele misogyne Traditionen werden von Frauen erhalten und gepflegt. Dazu gehört die weibliche Genitalverstümmelung, die traditionnel in den Dörfern von Frauen durchgeführt wird. 

Wenn Männer Frauen schlagen oder respektlos behandeln, frage ich mich oft, was sie für eine Mutter hatten und welches Verhältnis sie zu ihr hatten. Bis heute spielen die Mütter die entscheidende Rolle in der Erziehung und Pflege der Kinder. Und gegenüber einem Baby und Kleinkind ist die Mutter sogar übermächtig, denn das Überleben und Wohlsein des Kindes hängt von ihr ab. Natürlich ist man nicht einfach das Produkt seiner Mutter, beziehungsweise seiner Eltern. Aber die Gewaltbereitschaft wird von einem bestimmten Milieu, von bestimmten Normen, einer Erziehung, Beziehungen, gefördert oder eher verhindert. 

Ich bin Mutter eines siebenjährigen Sohnes und denke oft, dass unser Verhältnis ihn sicher langfristig bei seinen zukünftigen Beziehungen mit Frauen prägen wird. Nicht, dass ich immer genau wüsste, wie ich mit ihm umgehen sollte. Was ich aber weiss ist, dass er nur so viel Respekt anderen gegenüber entwickeln kann, wie er selber zuhause erlebt. Daher bin ich relativ optimistisch, wenn ich in der Zukunft blicke. Es werden zunehmend Kinder ohne Gewalt erzogen und von den beiden Eltern – Vater und Mutter –, was sich ganz sicher auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auswirken wird.

 

Frauen sind meiner Meinung nach nicht von Natur aus gute Menschen, sondern in dieser Hinsicht ganz anders sozialisiert worden. Über Jahrhunderte begrenzte sich der Alltag von Frauen auf die Privatsphäre, ihr oberster Ziel bestand darin, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein. Frauen sollten nicht allzu sehr auffallen, nicht unbequem sein. Eine solche Prägung hinterlässt tiefgreifende Spuren in der Psyche und im Denken. Wie sich Frauen tatsächlich verhalten werden, wenn sie irgendwann  genauso viel Macht wie Männer ausüben können und die selben Rechte und Freiheiten geniessen können, wird sich noch zeigen.

 

Auf jeden Fall können sie sehr wohl psychische Gewalt ausüben. Auch an unsolidarischen Verhalten gegenüber anderen Frauen fehlt es nicht an Beispielen. Das habe ich selber erfahren und ich kenne genügend Frauen, die davon erzählen können. Selbst in Kreisen, in den Schwesterliebe und Frauenförderung hochgepriesen wird, erlebt man Neid, Eitelkeit und Schadenfreude. Wie in der Wirtschaftswelt wird man oft von Frauen gemustert und anhand von Rentabilitätskriterien beurteilt: « Was wird sie mir bringen ? ».

 

So überraschend und abwegig eine Position wie die von Donna Rotunno sein mag, diese Frau ist nicht heuchlerisch, sie versteckt sich nicht hinter politisch-korrekten Parolen, sondern steht klar zu ihrer Überzeugungen und Kritik gegenüber der #MeToo-Bewegung. Zumindest weiß man hier, mit wem man es zu tun hat.