Birthstrike wegen des Klimawandels: Angst statt Aktion

© Eric Fischer by Flickr licence CC BY 2.0  Five Babies are born every minute in the United States (1920). From "Baby," The World Book, 1920.
© Eric Fischer by Flickr licence CC BY 2.0 Five Babies are born every minute in the United States (1920). From "Baby," The World Book, 1920.

Seit vielen Monaten  schwirrt in der Tagespresse und in sozialen Netzwerken ein Begriff umher: der Birthstrike – ein Gebärstreik dem Klima zuliebe. Die Bewegung wurde medial erfolgreich, nachdem die britische Sängerin Blythe Pepino im letzten März sowie die Schauspielerin Miley Cyrus im vergangenen Juli öffentlich erklärten, wegen des Klimawandels keine Kinder in die Welt setzen zu wollen. In Deutschland befeuerte das in März veröffentlichte Buch Kinderfrei statt kinderlos – ein Manifest der Lehrerin Verena Brunschweiger diese Diskussion. Laut der New York Times erklärten auch 33 % der US-Amerikaner, dass sie wegen der Umweltsorgen weniger Kinder bekommen würden als ursprünglich geplant. Die Forderungen der Birthstrike-Aktivisten stützen sich auf wissenschaftliche Studien, unter anderem auf die von Kimberly Nicholas, einer Professorin für Nachhaltigkeitsstudien an der schwedischen Lund Universität, sowie des Forschers Seth Wynes von der University of British Columbia in Kanada. Beide Wissenschaftler nahmen 39 Einzelstudien unter die Lupe, untersuchten 148 Szenarios in zehn Industrieländern und kamen 2017 zu diesem Schluss: Eine der effektivsten Maßnahmen zur Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks wäre die Maßnahme, keine weiteren Klimaschädlinge in die Welt zu setzen. Ein Kind weniger entspreche laut der Studie der Experten einem Ersparnis von 58,6 Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Zum Vergleich: ein Leben ohne Auto leben würde jährlich 2,4 Tonnen sparen. Konkret hieße dies, dass man sich so viel bemühen könne, wie man wolle, sprich aufs Auto, Flugzeug oder Fleisch verzichten könnte, dass all diese Maßnahmen jedoch, sobald man ein Kind bekäme, verpuffen würden. Wenn man bedenkt, dass die Weltbevölkerung im letzten Jahrhundert rasant zugenommen hat, klingt die Forderung nach einem Gebärstreik zunächst einmal nach einer logische Antwort. 1927 überschritt die Weltbevölkerung zwei Milliarden Menschen. Dann drei Milliarden im Jahr 1960, fünf Milliarden 1987 und seit 2011 ganze sieben Milliarden. Für 2050 werden 9,5 Milliarden Menschen auf der Erde prognostiziert. Zudem ist der Karbonfußabdruck eines Kindes aus Europa viel höher als der eines Kindes aus Zentralafrika. 

 

Das Problem bei diesem Ansatz: diese Argumente führen nicht weit. Erstens stagnieren die Geburtsraten in den industriellen Ländern seit Jahren auf einen niedrigen Niveau, besonders in Deutschland, wo die Fertilitätsrate 1,5 Kinder pro Frau erreicht (Stand 2018). Ein Zustand, der den Generationenvertrag gefährdet, da die Renten und Sozialabgaben durch eine immer kleinere Anzahl von Erwerbstätigen finanziert werden. Hinzu kommt, dass bereits jetzt ein großer Anteil von Frauen, besonders im Akademikermilieu, auf Nachwuchs verzichtet. Zweitens ist das Birthstrike-Phänomen nicht wirklich neu. So rief bereits 1913 die deutsche Arbeiterbewegung zum Gebärstreik auf, um den Kapitalismus zu bekämpfen. In den 1980er Jahren, als die Umweltverschmutzung zunehmend diskutiert und thematisiert wurde, erklärten auch viele Frauen in Deutschland, sie würden lieber auf Kinder verzichten als sie in eine solche Welt zu setzen. Und nach der Wende befürchteten Frauen in Ostdeutschland, sich keine Kinder mehr leisten zu können.

 

Drittens rührt diese Forderung, und das ist das Wesentliche, an existenziellen und sehr intimen Fragen. Die Frage nach dem Kinderwunsch und der Kinderzahl führt meistens durch eine Reise ins Unbewusste, in die Erziehung, die sozial-kulturelle Prägung eines Menschens. So gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die die Haltung eines Individuums gegenüber der Familiengründung beeinflußen. Eine Entscheidung für ein Kind ist eben nicht dasselbe wie eine Entscheidung für einen Urlaub in Thailand mit dem Flugzeug. Die Befürworter des Birthstrike monieren, dass die Entscheidung für Kinder « egoistisch » sei. Nur was meinen sie damit? Es scheint mir, als machten sie eine Umkehr der Vorwürfe, die sie meistens selbst zu hören bekommen. Sich für ein Kind zu entscheiden, speist sich heutzutage zum Glück nicht mehr bloß aus einem Zufall oder einer Verpflichtung heraus, sondern aus einem Wunsch, spricht aus mehr als einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Sowie auch das Verlieben nicht einem rationalem Handeln, sondern einem emotionalen Drang folgt. Würden alle zukünftigen Eltern genau überlegen und im voraus wissen, was sie mit Kindern erwartet, etwa, was sie genau finanziell kosten, würden sie vielleicht viel weniger Kinder bekommen. Die Kritiker des Gebärstreiks versuchen wiederum oft mit « ihrem unendlichen Familienglück » zu argumentieren. Dies ist nicht nur naiv, sondern zeugt auch von dem Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber denjenigen, die sich für einen anderen Lebensentwurf entschieden haben. Was ich selbst weiss, ist wie existenziell sich ein Kinderwunsch anfühlt, wie sehr er uns gleichzeitig in die Vergangenheit und in die Zukunft projiziert, welche inneren, metaphysischen Stürme er auslöst. Für diesen Wunsch sind Menschen bereit, viel Geld und viel Energie zu mobilisieren. In den meisten Gesellschaften wird auch die Forderung nach einer Ausweitung der künstlichen Befruchtung und der Lockerung von Adoptionsregelungen zugunsten von Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihres Familienstatus und ihrer sexuellen Orientierung bisher ausgeschlossen waren, lauter. Werden wir auch sie jetzt als Umweltsünder verurteilen? Das Problem ist nicht, dass die Menschen in den industrialisierten Ländern zu viele Kinder bekommen. Unser Umweltproblem kommt viel mehr vom ungebremsten Konsum. Das weiß auch die junge Generation, wie die "Fridays-for-Future"-Demonstrationen und der Erfolg von Greta Thunberg attestieren. Meine Kinder (7 und 11 Jahre alt) sprechen und handeln mit einem Umweltbewußsein, von dem ich im selben Alter weit entfernt war. Für sie ist es selbstverständlich, dass man Energie behutsam verbraucht und dass man diverse Materialen wiederverwendet. 

 

Im besten Fall bedeutet der Birthstrike für den Klimaschutz eine weitere Individualisierung der Lebensvorstellungen. Heutzutage braucht jedes Lebensmodell eine Rechtfertigung und seine Fangemeinde. Jedes Jahr werden zahlreiche Bücher über alle möglichen Lebensentscheidungen und Lebensvorstellungen mit der unterschwelligen Botschaft « Ich bin zwar anders, aber glücklich » publiziert. Nur dieser Rechtfertigungsdrang bereitet mir etwas Sorgen. Muss eine Frau im Jahr 2019 immer noch begründen, warum sie keine Kinder möchte und deswegen den Klimawandel als Begründung nennen? Auffällig bei den vielen Artikeln, die sich mit den Befürwortern des Gebärstreiks befasst haben, ist dass die Bemerkung « sie mag Kinder » sehr oft dazu geschrieben wird. Als ob eine Frau, die keinen Kinderwunsch hätte, eine Art Monster wäre. 

Was mich am meisten ärgert, sind die fehlenden Nuancen, teilweise populistischen Akzente, die den antinatalistischen Diskurs bestimmen. Schaut man sich genau die Aussagen der Anhänger an, beginnt man beinahe zu zittern, bei der Vorstellung, dass die Befürworter des Birthstrike eines Tages an der Macht wären. So erklärte eine junge Frau zum Beispiel in einem Artikel in der NZZ vom letzten August, dass die Nachricht über die Schwangerschaft einer Freundin mehr oder weniger das Ende dieser Freundschaft bedeutete. In ihrem Buch, spielt die Lehrerin Verena Brunschweiger Frauen mit und ohne Kinder gegeneinander aus und richtet ihre Kritik grundsätzlich an die Fortpflanzung. Für manche Antinatalisten wäre sogar die Welt ohne Menschen eine bessere. Am drastischsten formuliert die internationale Gruppierung Voluntary Human Extinction Movement ihr Anliegen. Sie sieht das freiwillige Aussterben von Menschen als die «einzige Möglichkeit, den Planeten zu retten». Das ist eine Vorstellung, die nicht nur apokalyptisch ist, sondern von einem tiefsten Misstrauen in die Menschheit zeugt. Der Wille, an konstruktiven Lösungen zu arbeiten, besteht nicht, sondern nur das Folgen einer radikalen Agenda. Schließlich kann man meines Erachtens am Umgang mit dem Thema Kinderwunsch sehr gut den Grad der Demokratie sowie den Schutz der Frauenrechte in einem Land messen: Die Länder, die in diesem zutiefst intimen Bereich mit strengen Gesetzen massiv intervenieren, sei es durch Abtreibungsverbote wie in El Salvador oder im Gegenteil, durch den Zwang, die Kinderanzahl zu reduzieren – sowie es China mit der Ein-Kind-Politik von 1979 bis 2016 umsetzte, glänzen nicht beim Schutz der Menschenrechte. 

Die Forderung nach einem Verzicht auf Kinder im Namen des Klimaschutzes zeugt allenfalls von einer tiefen Verzweiflung und Zukunftsangst. Viele Birthstrike-Aktivisten äußern auch große Angst vor den unwägbaren Umweltrisiken, denen ihre Kinder ausgesetzt wären. Dies verdeutlicht: Es ist eine traurige Bewegung.

 

C.C