Sport und Gender: ein Verhältnis voller Spannungen

© Catherine Cabrol
© Catherine Cabrol

Ich war nie sehr an Fußball interessiert. Und noch weniger, wenn Frauen spielten. Warum eigentlich? Ich dachte immer, es würde an meinen Interessen liegen. Als Kind und Jugendliche habe ich auch nie Fußball gespielt, sondern Ballett getanzt und Gymnastik gemacht, wie so viele andere Mädchen. Dass so wenige Mädchen Fußball spielten, stellte ich nicht in Frage, es erschien mir sogar als selbstverständlich. Nur wurde mir klar, als ich älter wurde, dass – wie bei geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen oft üblich – diese Interessen nicht von der Mutter Natur vorgegeben werden, sondern stark von kulturellen Normen geprägt sind. Deswegen werden Sportarten wie Fußball oder Boxen, Ringen, Diskuswerfen, die traditionell mit Stärke identifiziert werden, als « typisch männlich » angesehen, während Sportarten, die wie Ballett und Gymnastik mit Grazie in Verbindung gebracht werden, als « typisch weiblich » wahrgenommen werden.

 

Wie oft fallen Kommentare von Männern aber auch von Frauen wie diese: dass Frauen beim Fußball nicht "grazil" genug spielen, dass Frauenfußball verglichen mit dem Männerfußball "langweilig" sei. Oder « zu langsam », mit « zu wenig Tricks ». Eines ist klar: Frauenfußball ist weniger bekannt, beliebt, verstanden und gefördert. Etwa 1,1 Million Frauen und Mädchen sind Mitglieder des DFB von einer Gesamtzahl von 7 Millionen. Und die Anzahl der Frauen-Mannschaften war im letzten Jahr rücklaufig. In Frankreich zählt der französische Pendant des DFB 165 000 Frauen von einer Gesamtzahl von 2,2 Millionen Mitgliedern.

 

Zwar gilt heute eine sportliche Frau als Idealbild. Aber zu viel Muskel bei einem weiblichen Körper halten viele Menschen – und zwar nicht nur Männer –  für abstoßend. Denn sie stellen die ästhetischen Kanons in Frage. Durchtrainierte Frauen passen für viele Menschen nicht ins Bild denn sie gefährden die traditionnelle Grenze zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit. Selbst professionnelle Sportlerinnen müssen sich für ihr Aussehen rechtfertigen. Die Tennisspielerin Serena William wurde oft « als nicht weiblich genug » abgetan. Die Bodybuilderin Teresa Perez zieht regelmäßig argwöhnische Blicke auf sich. «  Für mich ist das vor allem ein kulturelles Problem. Viele Menschen erwarten, dass wir Frauen uns still und unterwürfig verhalten. Wenn wir davon abweichen, ist das immer wie ein Schock. Ähnlich läuft es bei unseren Körpern: Frauen sollen schwach sein, Muskeln stehen für Männlichkeit. Ich sehe mich selbst aber als sehr feminin », sagte die Spanierin im Jahr 2018 dem Magazin Vice.  

 

Bis heute erinnere ich mich an diesen französischen Ausdruck, den ich in meiner Jugend hörte: Wenn eine Frau sehr muskulös war und breite Schultern hatte, belächelte man sie als « nageuse de l’Est » – (dt. « osteuropäische Schwimmerin ») in Anspielung an die Schwimmerinnen von den Ostblockstaaten, vor allem aus Ostdeutschland, die in den 70er Jahren oft mit Hormonen gedopt wurden und dadurch sehr breite Schultern entwickelten. Im Gegenteil werden professionnelle Sportlerinnen gefeiert, wenn sie trotz ihres Trainings, weiter weibliche Züge behalten. In den 90er Jahren wurde die Tennisspielerin Anna Kurnikowa nicht wegen ihrer vielen Siege bekannt,  sondern vor allem aufgrund ihres Körpers, der einem Top-Modell ähnelte. Vielleicht musste auch deswegen die sehr trainierte Wonder Woman, von einer Schauspielerin gespielt werden, Gal Gadot, die auch mal Top-Modell war. Alles anderes hätte die Zuschauer wahrscheinlich gestört.

 

Gleichzeitig scheint das Unsportliche besser toleriert zu sein wenn das Subjekt weiblich ist und solange seine Silhouette einigermassen schlank bleibt. Denn, andere Kriterien haben bei der Definition von Weiblichkeit, vor allem wenn Frauen Mütter werden, Priorität. Die weichen Rundungen von Frauen, die überall in Museen, Gemälden und Filmen zu sehen sind, prägen nach wie vor unsere bewußten und unbewußten Vorstellungen des idealen Frauenkörpers. Eine der weltweit bekanntesten Skulpturen, die Venus von Milo, die die halbnackte Göttin Aphrodite darstellt, zeigt einen Körper mit breiten Hüften und zarten Zügen, die ein Gefühl von Harmonie und Geborgenheit vermitteln. Kein Zufall, dass das erste Hobby, das meistens ausfällt, wenn die Frauen Mütter werden, Sport ist. Die Mütter, die in meinem Freundeskreis noch oft Sport treiben, kann man an den fünf Fingern abzählen. Zwischen Familie und Beruf bleibt einfach wenig Zeit und die Erschöpfung macht die Versuchung groß, auf das Training zu verzichten. Hinzu plagt viele Mütter das schlechte Gewissen, wenn sie sich neben Beruf und Freunden noch Zeit für Sport gönnen. Doch ist das Treiben von Sport eine fundamentale Komponente für die Selbstwahrnehmung und das Selbstbewusstsein. 

 

Die Demokratisierung des Sports vor allem der Disziplinen, die mit Stärke verbunden sind, ist auch eine Geschichte der Frauenrechte. Die erste Frauenfußball WM fand 1970 statt, Golfwettbewerbe für Frauen existieren erst seit den 90er Jahren, die erste Weltmeisterschaft mit Frauen im Skispringen gibt es erst seit 2009 und Frauen-Boxen ist erst seit 2012 bei den Olympischen Spielen dabei. Ähnlich wie in der Gesellschaft ist die Welt des Sports noch keine gleichberechtigte. Sie hängt auch noch sehr an binären Geschlechtsvorstellungen ab, wie Weiblichkeitstests bezeugen, die seit den 60er Jahren bei Sportlerinnen gemacht wurden und heute weiterhin stattfinden. Erst mussten sie sich gynäkologische Untersuchungen unterziehen, heute werden Hormontests angeordnet. Doch damit laufen die Sportverbände die Gefahr diskriminierend zu sein. Denn, man hat inzwischen festgestellt, dass extrem trainierte Frauen ihren Testosteronswert natürlich erhöhen können. Hinzu stellen intersexuelle Menschen, die üblichen Wettbewerbskategorien von Mann und Frau in Frage. Der Fall von der Athletikerin Caster Semenya ist beispielhaft. Die 800-Meter-Läuferin aus Südafrika gewann bei den Olympischen Spielen zweimal Gold und war zweimal Weltmeisterin. Anfang Mai hat der Internationale Sportgerichtshof CAS ihr endgültig untersagt, so zu laufen, wie sie ist. Sie darf nur noch teilnehmen, wenn sie ihre männlichen Hormone mit Medikamenten senkt. Dieser Fall bringt uns auf die Frage « was ist eine Frau ? » zurück und zeigt, dass es immer schwerer wird, sie zu beantworten. 

 

Immerhin gewinnen Sportdisziplinen, die lange als männliches Revier galten, zunehmend an Interesse. In Frankreich, wo vom 7.Juni bis zum 7.Juli zum ersten Mal die Frauenfußball Weltmeisterschaft stattfindet, wird das Ereignis mit Spannung verfolgt: Die Medien berichten erstmalig ausgiebig darüber, das Stadium war voll beim Eröffnungsspiel, Bars zeigen die Spiele und sogar Staatspräsident Macron hat die Spielerinnen besucht und mit ihnen schöne Fotos gemacht –  so wie es mit den männlichen Mannschaften üblich ist. Das Land nutzt diese WM um die Geschichte des Frauenfußball zu erkunden und es finden viele Diskussionen statt mit der Frage zum Beispiel, nach gemischten Mannschaften mit Frauen und Männern. Die Wahrnehmung dieser Sportart verändert sich: früher stand Stärke im Vordergrund, heute achtet man viel mehr auf die Spieltechnik. Dennoch sind die sexistischen Reflexe längst nicht verschwunden. Anfang Juni zeigte ein Cover von Charlie Hebdo einen Fußball in der Öffnung einer Vulva mit dem abwertenden Titel « wir werden davon einen Monat lang fressen müssen ». Und der Weg zu einer Angleichung der finanziellen und wirtschaftlichen Bedingungen zwischen männlichen und weiblichen Fußballern wird noch sehr lange dauern.

 

In Deutschland ist das Interesse nicht so groß für diese WM. Auch wenn die Medien diesmal mehr über dieses Ereignis als sonst berichtet haben, werden die meisten Menschen es nicht als Großereignis wahrnehmen. Es gibt wenige Bars, die die Spiele zeigen und auch keine Kalender und Pläne zum rausschneiden wie bei der Männer-WM. Immerhin soll Angela Merkel mit der deutschen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg telefoniert und den DFB-Frauen "viel Glück" gewünscht haben. 

 

Deswegen sind kleine und große Proteste und Revolutionen von Bedeutung. So findet die diesjährige WM ohne die amtierende Weltfußballspielerin und beste Stürmerin der Welt statt - die Norwegerin Ada Hegerberg. Diese hatte sich aus Protest um die bei Frauen geringeren Prämien mit dem heimischen Fußballverband NFF zerstritten. Ihr gehe es "um Respekt", wie sie sagte. Eine Entscheidung mit Folgen. Kurz danach entschloss sich der NFF als erster Verband der Welt Frauen- wie Männerteams gleich zu bezahlen. Bereits im September 2017 ging ein Staunen in und auch außerhalb der Fußballwelt um, als Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus als erste Frau ein Herren-Bundesliga-Spiel leitete. Und selbst die Spitze des heiligen wie männlichen DFB wird von Frauen anvisiert. Nach dem Rücktritt des Präsidenten Reinhard Grindel steht nun eine Neuwahl an. Beworben hat sich dieses Mal auch eine Frau: Ute Groth. In der 119-jährigen Geschichte des DFB wäre ihre Wahl ein fast unglaubliches Ereignis. Spätestens dann sollte Angela Merkel zeigen, dass ihre Hände mehr als eine Raute formen können und diese so schön zum Jubel in die Luft werfen wie 2014 in Brasilien.

 

Cécile Calla und Jana Idris