Feminismus und Glaube: Passt das zusammen?

 © Jean Louis Mazières by Flickr.  Adam und Eva von Francesco Albani (1578- 1660) Musée des Beaux Arts de Bruxelles.
© Jean Louis Mazières by Flickr. Adam und Eva von Francesco Albani (1578- 1660) Musée des Beaux Arts de Bruxelles.

„Wie kann ein liebender Gott Frauen hassen?" Diese Frage, die eine der Protagonistinnen des Dokumentarfilms #Female Pleasure stellte, erschallte mehrere Minuten in meinem Kopf. Seit Langem frage ich mich wie Glaube und Religiosität mit Feminismus vereinbar sind. Wie viele andere Menschen kann ich mit den Verboten oder Geboten der katholischen Kirche in puncto Verhütung und Sexualität wenig anfangen oder gar umsetzen und bin fassungslos angesichts der vielen Missbrauchsskandale. Indes spielt der Glaube nach wie vor eine wichtige Rolle in meinem Leben.

 

Um es den Lesern und Leserinnen nicht zu verschweigen: Ich wuchs in einer äußerst katholischen wie religiös praktizierenden Familie auf. Bis zu meinem 17. Lebensjahr ging ich jeden Sonntag zum Gottesdienst und einmal die Woche zum Katechismus. Später entfernte ich mich von der Kirche. Ich kann diese Entscheidung nicht an einem bestimmten Grund festmachen. Wahrscheinlich empfand ich die Kirche als zu hinderlich für meine sexuelle Entfaltung. Oder fühlte mich von ihr als Frau nicht ernst genug genommen. Über viele Jahre hinweg wurden somit meine Kirchenbesuche immer seltener. Erst nach der Geburt meines ersten Kindes kam in mir wieder das Bedürfnis auf, mich mit diesem Glauben und Gefühl auseinanderzusetzen. In dieser Zeit ging ich sowohl als Mensch als auch als Frau einen weiten Weg und lernte, mich nicht mehr von einem patriarchalen Diskurs einschüchtern zu lassen. Im Vordergrund stand für mich eher die Frage, was genau ich weitergeben möchte. 

 

 Aber „wie kann eine vernünftige Person, dazu noch eine Feministin es verantworten weiter in der Kirche zu sein", werde ich oft gefragt. Selber frage ich mich, ob es nicht zwei Teile in mir gibt, die nicht recht miteinander kommunizieren können oder - noch schlimmer - sich sogar gegenseitig neutralisieren und mich daran hindern, klar zu denken. Ich wage einen Erklärungsversuch: Wenn ich an mein religiöses Gefühl denke, unterscheide ich zwischen dem Glauben, der Bibel und der Institution Kirche.

 

Eine Beziehung zwischen einem selbst und Gott

 

Der Glaube ist etwas Intimes, denn es geht um eine Beziehung zwischen einem selbst und Gott oder wie auch immer man es nennen möchte. Muss man sich dafür erklären, warum und weshalb man in Jemanden verliebt ist? Und warum sollte diese spirituelle Zuwendung schlechter als Yoga-Retreats, Ayahuasca-Sessions und Coachingstunden sein? Für mich ist es keine Frage der Tugend oder der Vernunft. Vielmehr geht es um die Fähigkeit zu lieben und in bestimmten Situationen, das Richtige zu tun. Mein persönliches Vorbild sehe ich in einer der bekanntesten Beginen, der Französin Marguerite Porète, die sich auf Bibelstellen und nicht auf kirchliche Autoritäten berief. In ihrem Ende des 13. Jahrhunderts verfassten Buch „Der Spiegel der einfachen Seelen" schrieb sie, dass „Gott" nur über die Liebe gefunden werden könne, also nicht über die Kirche. Dafür wurde sie 1310 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 

Ohne Wort, kein Glaube. Als Kind las ich die Bibel wie ein märchenhaftes Epos: die Engel, die an verschiedenen Stellen auftauchen, das Meer das sich für das Volk Israels öffnet, die Wunder von Jesu Christi, die Sterne im Himmel über Bethlehem, die Heiligen Drei Könige. Vergrößert wurde meine Faszination durch die Kirchenbesuche und den Katechismus, wo mir versichert wurde, dass das alles, im Gegensatz zu Märchen, wahr sei. Die patriarchale Perspektive konnte ich damals nicht reflektieren. Ich tauchte ganz in diese magische Welt ein.

 

Heute erkenne ich den frauenverachtenden Diskurs, weswegen ich mich die Suche nach anderen Interpretationen gemacht habe. Theologinnen, die auch Feministinnen sind, haben seit den 1960er Jahren begonnen, Bibelstellen, in denen Frauen vorkommen, genauer zu untersuchen, neu zu lesen und zu interpretieren und nach weiblichen Vorbildern zu suchen. Vor Kurzem ist ein Buch erschienen, das die aktuellste Forschung zusammenfasst und mit vielen Beispielen aus der Literatur sowie mit politischen Debatten und Filmen konfrontiert: So ist letzten September in Genf das Werk Une bible des femmes, (dt. eine Bibel der Frauen) im protestantischen Verlag Labor et Fides erschienen. Das Ergebnis wird viele überraschen, denn man entdeckt eine Bibel mit emanzipatorischem Potenzial. „Es ist unnötig die Bibel zu verwerfen, weil Sie Feministin sind", schreiben in der Einleitung die 20 katholischen und evangelischen Autorinnen aus Kanada, Frankreich, Benin, Belgien, Kamerun, der Schweiz und Deutschland. Die Kapitel decken fast alle Themen ab, die heute im Feminismus diskutiert werden: Schönheitsideale, Femmes fatales, die Grenzen der Fortpflanzungsmedizin sowie den Einfluss von Frauen im öffentlichen Raum.

 

Ungleichheit zwischen Mann und Frau

 

Denken wir etwa an eine der bekanntesten Bibelstellen, an die Schöpfung von Adam und Eva am Anfang des Alten Testaments in der Genesis, die so oft Grundlage für einen Diskurs über die Ungleichheit zwischen Mann und Frau wurde. Die Tatsache, dass Gott Eva anhand der Rippe von Adam schuf, muss nicht zwangsläufig Evas Unterlegenheit bedeuten, erklärt die Pfarrerin Bettina Schaller. „Das hebräische Wort für Rippe weist darauf hin, dass der Mensch aus zwei unterschiedlichen Seiten (Mann und Frau) geschaffen wurde." Eva ist also keineswegs seine Gehilfin, sondern sein „Gegenüber". Weiter kommentiert und übersetzt sie folgenden bekannten Auszug des Briefes an die Epheser 5,21-33 ganz neu. « Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist ». Aus ihrer Sicht ist der Begriff „Unterordnung" nicht richtig. Es geht nicht um die Unterordnung der Frau gegenüber ihrem Ehemann, sondern viel mehr um eine gegenseitige Unterordnung von Mann und Frau.

 

Nehmen wir auch die gängige Vorstellung, dass Gott mit einem männlichen Gesicht definiert wird. Man findet, so die Autorinnen, einerseits viele Passagen im Alten Testament, die den Geist bzw. die Anwesenheit von Gott mit femininer Begrifflichkeit beschreibt. So wird zum Beispiel das hebräische Wort Shékinah (Ex 25,8 und Es 8,18) verwendet. „Die Shékinah zeigt gleichzeitig Gott als Mutter auf, die als verkörperte Weisheit repräsentiert wird", schreiben Pierrette Davian und Diane R. Marleau. Anderseits haben mystischen Frauen wie Hildegarde von Bingen (1099-1179) weibliche Symbole in ihren Gebeten für Gott ausgesucht. „Die Weisheit war noch vor dem Anfang des Anfangs da" schrieb einst die Äbtissin, die aufgrund ihrer Schriften über die Rolle des Menschen im Kosmos als Schutzpatronin der Ökologiebewegung gilt.

 

Scham als Spielraum

 

Bei der sehr umstrittenen Frage der Körperbedeckung und der Scham ist die Autorin Hanna Woodhead der Meinung, dass klassische Stellen wie 1 Timotheus 2,8-10, die Leserinnen zu Recht schockieren eine andere Deutung bekommen könnte. Wenn der weibliche Körper so viel Aufmerksamkeit bekommt, könne er „eine Rolle im Aufbau eines feministischen theologischen Diskurs spielen". Das altgriechische Wort sophrosùnê etwa, das man mit „Scham" aber auch mit „Mäßigung, Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung" übersetzen kann, wurde je nach dem, ob es Frauen oder Männer betraf, anders gebraucht. Man findet auch viele Beispiele in der Bibel von einer leiblichen, nicht-verbalen Kommunikation mit Jesus. So kann dieser Begriff der Scham die klassische Opposition im Christentum zwischen Leib und Seele zum Einsturz bringen und zu einer anderen Bedeutung führen: nämlich eines Spielraums, wo die Frau entscheidet, was sie zeigt oder nicht. Denn „der weibliche Körper muss nicht extrem sexualisiert oder zur Schau gestellt werden, um mächtig und aktiv zu sein."

 

Bis heute bleibt die Beteiligung von Frauen am öffentlichen Diskurs schwierig. Dennoch spielen einige Frauen eine wichtige Rolle in der Bibel. Sowie Maria von Magdala, auch Maria Magdalena genannt, die in den vier Evangelien anwesend ist, eine breite Ikonographie in der Malerei und im Film hervorgerufen hat und fälschlicherweise oft mit der Figur der Sünderin verwechselt wurde. Laut Matthäus (28,9) und Johannes (20,14-17) ist sie die Erste, die dem auferstandenen Jesu Christi begegnet. Wie Paulus, wird sie mit ihrem Vornamen genannt und soll diese wesentliche Botschaft für Christen ankündigen: « Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott! » (Johannes 20,17b). Trotzdem hatte sie keinerlei Wirkung auf den Einfluß der Frauen in der Kirche. 

 

All diese Beispiele zeigen, dass der misogyne Diskurs und der geringe Einfluss der Frauen in der Kirche nicht unbedingt ihren Ursprung in religiösen Quellen findet. Wie bei allen Weltreligionen, zeigt sich das Christentum als ein Abbild dieses patriarchalen Denkens, das in der Zeit wo diese heiligen Schriften verfasst wurden, besonders ausgeprägt war. Wenn man alle klassischen Texten neu übersetzen ließe, würde man sicher zu überraschenden Ergebnissen kommen. Die britische Professorin Emily Wilson hat eine neue Übersetzung von der Odyssee im Jahr 2017 verfasst- die erste überhaupt von einer Frau ins Englische - und damit neue Perspektiven in dieser berühmten Geschichte eröffnet. Odysseus, der in den meisten verfügbaren Übersetzungen als „vorsichtig, mutig, weise" beschrieben wird, wird im Text von Emily Wilson ein „komplizierter Mann". Und Penelope wirkt nicht mehr so stoisch, sondern zeigt ganz klar ihre Emotionen und Verzweiflung.

 

Genauso wie andere Gesellschaftsbereiche, müssen folglich auch die Kirchen sich verändern und Frauen mehr Platz einräumen. Dieselbe Herausforderung erleben auch muslimische Feministinnen. Trotz allem bin ich mir einer Sache sicher: Gott hasst keine Frauen.

 

C.C