Für eine Wahrnehmung der weiblichen Existenz

Die Streitschrift « Die potente Frau » von der Philosophin Svenja Flaßpöhler hat das deutsche feministische Milieu etwas aufgewirbelt und viel Kritik auf sich gezogen. In ihrem Essay, wirft sie der #Metoobewegung vor, patriarchale Denkmuster zu wiederholen, die die Frauen infantilisieren. Ähnlich früherer Denker wie Rousseau, Freud oder Lacan, schreibe #Metoo aus ihrer Sicht den Frauen « eine rein passive Rolle » zu, man erfahre « gar nichts über das weibliche Begehren ». 

Auch wenn ich dieses Argument nicht ganz nachvollziehen kann, - ich bin der Meinung, daß #Metoo, dieses kollektive Sprechen der Frauen, etwas Grundsätzliches ins Rollen gebracht hat -, gibt es einen interessanten Aspekt, der völlig untergegangen ist: Das Plädoyer für eine « Phänomenologie der Weiblichkeit », ein wichtiges Thema, um die Emanzipation weiterzudenken. Heute fühlen sich viele Frauen nicht adäquat von aktuellen feministischen Figuren und Theorien vertreten. Und leider klingt « feministisch » immer noch wie ein Schimpfwort in den Ohren vieler Menschen in Deutschland. 

 

Warum eigentlich? Gendertheorien wie die von Judith Butler, was man auch dekonstruktiven Feminismus nennt, haben « unbestritten Bahnbrechendes geleistet“. Die zentrale These in Das Unbehagen der Geschlechter von Judith Butler besteht darin, die Unterscheidung zwischen Mann und Frau für obsolet zu erklären. Damit wendet sich die amerikanische Denkerin « gegen eine Essenzialisierung der Frau », also gegen die Idee, dass Frauen aufgrund ihrer Biologie selbstverständlich bestimmte Charakterzüge oder Verhalten wie mütterliche Instinkt, Fürsorge oder Einrichtungsdrang aufweisen würden. Nur, beklagt Flaßpöhler, ist darin das Subjekt « Frau » verloren gegangen.

 

Sie schlägt einen dritten Weg vor: Weder Dekonstruktion noch eine essenzialistische Festschreibung des Weiblichen sondern Experienzialismus, der auf einer leiblichen Erfahrung basiert. Dieser Gedanke knüpft an ein in Frankreich 2015 veröffentlichtes Buch, La révolution du féminin (Die Revolution des Weiblichen, das Buch wurde noch nicht ins Deutsche übersetzt). In diesem sehr gut recherchierten Sachbuch stellt die Autorin, Camille Froidevaux-Metterie, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Reims Champagne Ardenne, zunächst fest, daß der Kampf um Emanzipation in seiner zweiten und dritten Welle, den weiblichen Körper und die Heterosexualität, die als Ursache der Entfremdung und der Unmündigkeit der Frau betrachtet wurden, entwertet hat. Das war damals zwar verständlich, denn die Welt der Frauen beschränkte sich auf ihr biologisches Schicksal und die Privatsphäre, das führte aber gleichzeitig zu einem Verschwinden der leiblichen Wahrnehmung der weiblichen Existenz. 

 

Heute erscheint Froidevaux-Metterie diesem Konflikt « zwischen neutralem Universalismus und spezifizierendem Essenzialismus » obsolet, weil sich das Leben der Frauen, zumindest in der westlichen Welt, seit den Siebziger Jahren grundsätzlich verändert hat. Die sexuelle Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre wurde aufgehoben, Frauen sind nicht mehr ihrem biologischen Schicksal unterworfen, sie können sich für oder gegen Kinder entscheiden und dürfen abtreiben falls sie ungewollt schwanger werden. Gleichzeitig sind neue Phänomene entstanden: die zunehmende Sexualisierung des weiblichen Körpers im öffentlichen Raum, die Verschiebung des Zeitpunktes der Familiengründung, die hohe Scheidungsquote, die zunehmende Sprunghaftigkeit und Bindungslosigkeit der Paarbeziehungen, die gewaltigen Fortschritten der Reproduktionsmedizin und die Abnahme der Religiosität in unseren Gesellschaften. Das alles wirkt sich selbstverständlich auf dem Weg zur Gleichberechtigung aus. 

 

In ihrem Essay, erzählt Flaßpöhler dass sie sich früher fragte, ob der Weg der weiblichen Selbstbestimmung über Homosexualität führt, bevor sie feststellen musste, daß ihr Begehren doch auf Männer zielte und sich nicht « beliebig ändern lässt ». Sie fügt hinzu: « Eine emanzipierte Frau ist nicht notwendigerweise queer oder lesbisch ». Damit trifft sie einen Nerv. Ein nicht unwesentlicher Teil der Emanzipationstheorie wurde von homosexuellen Frauen geprägt. Das hatte den Vorteil viele gesellschaftliche Konstrukte, die vor allem heterosexuelle Beziehungen betraf und noch betreffen, zu zerlegen. Nur reicht es heute nicht mehr aus um die Lebensrealität vieler heterosexueller Frauen zu begreifen. In einem langen Gespräch mit der Tageszeitung Le Monde erzählte 2017 die aufrührerische französische Autorin Virginie Despentes wie ihre Homosexualität ihr Leben zum Besseren gewandelt hatte: « Heterosexualität kann dich als Kreative nach unten ziehen, in der Homosexualität blüht die Kreativität auf ». Soll das die Antwort sein für Frauen, die nach wie vor Männer begehren, sich mit denen auseinandersetzen möchten und zugleich nach feministischen Inspirationsquellen suchen? 

Das trifft insbesondere Medien, die in Deutschland kein wirkliches Angebot für diese Leserschaft entgegenzusetzen haben. Entweder gibt es die üblichen Lifestylemagazine, die Frauen mit tausenden von Ratschlägen bombardieren, oder es gibt feministische Titel, die auf ein sehr spezifisches Publikum zielen: ältere 68iger, queer und homosexuelle Frauen oder sehr junge urbane Frauen. Um es mit anderen Worten zu sagen: die conditio humana vieler heutiger erwachsener Frauen wird weder differenziert reflektiert noch besonders klug diskutiert. Doch ist es unbestreitbar, dass unsere subjektive, leibliche Erfahrung viele Teile unseres Lebens, sei es im Beruf, in der Liebe oder im Denken färbt. Durch die Emanzipation sind Frauen duale Menschen geworden: sie sind öffentliche Akteure (auch wenn natürlich noch nicht alles erreicht ist) und gleichzeitig Privatmenschen oder wollen zumindest nicht auf diesen Teil verzichten. Die Gesellschaft müsste aber bereit sein auf ihre Erfahrungen zu hören.

 

Um nur ein paar Beispiele zu geben: Frauen haben einen anderen Bezug zur Zeit, weil unabhängig davon, ob sie sich Kinder wünschen oder nicht, die Zeit der Fruchtbarkeit auf eine intensive Lebensphase begrenzt ist. Ihre Lust, das zeigen auch inzwischen viele Studien, hat nichts gemein mit den klassischen Bildern der passiven oder tugendhaften Frau. Es ist auch zu einfach, ästhetische Bedürfnisse als patriarchale Unterwerfung zu beurteilen. Das Selbstbild, die Aneignung des eigenen Körpers gehört zum Aufbau der Identität. Bei Frauen und auch zunehmend bei Männern. Letztendlich kann man dieser Grundsatzfrage nicht entgehen: Wird die Frau als weibliches Subjekt potent wenn sie einfach die klassische Männlichkeit imitiert? 

Darüber nachzudenken, würde nicht nur neue Wege im Feminismus eröffnen sondern sicherlich auch einen fruchtbaren Diskurs über Männlichkeit ebnen.