Frauen und Macht: Das angebliche Chaos

©Torbakhopper by Flickr
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Neulich zeigte sich Angela Merkel ungewöhnlich leidenschaftlich und intensiv. Für ihre erste Regierungserklärung am 21. März seit der neuen Regierungsbildung überraschte sie viele politische Kommentatoren, die sich anschließend sehr positiv über die Zukunft der neuen Koalition äußerten. Zuvor, in den letzten Monaten hatten sie lieber in apokalyptischen Szenarien ("Merkels Dämmerung", "Merkel ist am Ende") geschrieben. Nun ist sie für weitere vier Jahre da und wenn nichts dazwischen kommt, ist Angela Merkel auf dem Weg den Rekord von Helmut Kohl zu erreichen. Wer hätte das gedacht, als sie CDU Vorsitzende wurde? Nicht viele. Selten wie nie, traut man Frauen hohe Kompetenzen zu. Ich kann mich noch sehr gut an den Wahlkampf von 2005 erinnern. Damals arbeitete ich als Wirtschaftskorrespondentin für Le Figaro und berichtete über die Bundestagswahlen.

 

"Niemals die Arbeitskapazität"

 

Insbesondere erinnere ich mich an ein Gespräch während des Sommers mit dem damaligen politischen Korrespondenten der Zeitung, einem sehr erfahrenen Journalisten, der in vielen Ländern als Korrespondent gearbeitet hatte. Er versicherte mir, dass Angela Merkel "niemals die Arbeitskapazität für ein solches Amt hätte". Er berief sich auf seine Beobachtungen in der Zeit als sie Ministerin in Bonn unter Kohl war und sie von ihm "das Mädchen" genannt wurde. Ich empfand meinen Kollegen überheblich und hegte den vagen Verdacht, dass seine Behauptung mehr mit ihrem Geschlecht als mit ihren Fähigkeiten etwas zu tun hatte. Trotzdem nickte ich zu und dachte "er kennt sich besser als ich aus", schließlich stand ich noch am Beginn meiner Karriere. Die Leitartikel vieler deutschen Kollegen waren kaum freundlicher. Als sie dann doch zur Kanzlerin im Herbst 2005 gewählt wurde, bemängelten schnell die deutschen Kollegen, dass Angie keine "Basta-Kanzlerin" war, dass sie sich nicht subito hic et nunc entschied, kurzum, dass sie keine Führung zeigte. Einige Jahre später nannte man sie "Mutti", ein Spitzname, der sich an das Ideal der "schwäbischen Hausfrau" anlehnt, das ihr sanftes beziehungsweise harmloses Agieren unterstreichen sollte, bevor sie die Teflon Kanzlerin wurde, weil aus der Sicht der Kommentatoren alles an ihr abperlte. Hingegen verlor der Beiname "Flüchtlingskanzlerin" schnell seine positive Bedeutung. Gerhard Schröder wurde weder mit Gerhard oder Geri, noch mit Vati oder anderen verächtlichen Namen genannt. Gleichzeitig wurden ihr Machtanspruch und ihre Machtworte verteufelt: man nannte sie die "eiskalte Kanzlerin" als sie Norbert Röttgen im Jahr 2012 entliess.

 

Die Macht neu denken

 

Immer noch wird Macht nach männlichen Kriterien empfunden, phantasiert und wahrgenommen. In ihrem brillanten Manifest Frauen und Macht (S.Fischer Verlag) schreibt die britische Historikerin Mary Beard zu Recht, dass man "die Macht neu denken muss" um die "Strukturen zu ändern". In diesem Essay, der auf zwei Vorträgen in der London Review of Books basiert, zeigt sie, wie wir immer noch Redewendungen der alten Griechen benutzen, um mächtige und machtlose Frauen zu beschreiben. Deswegen werden die Frauen "noch immer so wahrgenommen, als würden sie sich außerhalb der Macht befinden". Beim Lesen musste ich oft an solchen Beschreibungen von Angela Merkel's Verhältnis zu ihrer Partei wie "sie fremdelt" denken. Weil sie als Frau ein Territorium betreten hat, das nicht nur männlich ist, sondern auch konservativ, kann sie dann nur eine "Fremde" sein. So fühlen sich auch viele Frauen, wenn sie sich in der Agora äußern. Das liegt vor allem daran, dass sie zu wenige sind. Wie oft werden Talkrunden, Paneldiskussionen fast nur mit Männern besetzt? Unzählige Male saß ich als einzige Frau in solchen Runden.

 

Wahrnehmung des Medusamythos

 

Weibliche Macht bleibt nicht nur ein blinder Fleck, viel mehr löst sie große Angst vor dem Chaos in der männlichen Phantasie aus. Das zeigt der Umgang mit dem Mythos der Medusa. Mary Beard weist sehr eindrucksvoll auf eine breite Ikonographie hin, die machtvolle Frauen in der Rolle der enthaupteten Medusa diskreditiert. Es gibt Bilder von der Kanzlerin als Euromedusa während der Euro-Krise, eine Karikatur der britischen Premierministerin Theresa May als "Maymedusa". Am meistens hat es Hillary Clinton während des amerikanischen Wahlkampfes 2016 getroffen. Inspiriert von Cellini's Bronze, der Perseus mit dem abgeschlagenen, in die Höhe gehaltenen Haupt der Medusa zeigt, wurde Trump's Gesicht über das von Perseus gelegt und der Medusakopf mit Clintons Gesichtszügen versehen. Diese Darstellung wurde wie die britische Historikerin zeigt, auf T-Shirts, Kaffeebechern, Lap-top-Hüllen und Tragetaschen vermarktet. Das war eines der vielen Mittel, die dazu diente, Hillary Clinton's Reputation zu beschädigen. Ich erinnere mich noch gut wie plötzlich der Diskurs selbst in meinem liberal denkenden Kreis plötzlich umschwenkte, wie Hillary Clinton schlagartig als zu "hart", "unerträglich" von männlichen Ansprechpartnern dargestellt wurde.

Kleine Anekdote zu der Wahrnehmung des Medusamythos: Als ich im Jahre 2015 an der Entwicklung eines neuen Printmediums für Frauen arbeitete und mich auf der Suche eines Namens begab, kam ich sofort auf Medusa. Ich sah keine Alternative, weil mir sonst alle anderen Namen zu kitschig, oder zu sehr mit der Opferrolle verbunden waren. Ich wollte einen Namen, der eindeutig weiblich ist und gleichzeitig Potenz beinhaltet. Die Reaktionen waren bemerkenswert: Es hieß, der Name sei viel zu aggressiv, viel zu blutrünstig, die meisten rieten mir ab diesen Namen zu behalten... .

 

"Wir geben dir eine einzige Chance"

 

Aber zurück zu Politik. Es heißt in Deutschland, dass Frankreich mit der Förderung von Frauen in Spitzenpositionen viel weiter wäre. Bis jetzt hatten wir aber keine Präsidentin. Letztes Jahr schien die Vorstellung nicht mehr so fern, dass Marine Le Pen in den Elyseepalast einziehen könnte. Das wäre allerdings eine Katastrophe für Frankreich gewesen. Zehn Jahre zuvor, im Jahre 2007 verlor die Sozialistin Ségolène Royal deutlich (47%) gegen den Konservativen Nicolas Sarkozy (53%). Nachdem sie in den ersten Monaten viel Zuspruch gefunden hatte, fiel sie in den letzten Wochen vor der Wahl in der Gunst der Wähler zurück. Sie verlor unter anderem, weil sie sich während des TV-Duell mit Nicolas Sarkozy zu "cholerisch" zeigte und damit wenig Autorität verkörperte, als die Diskussion um die Einschulung von behinderten Kindern ging. Eigentlich war sie nur emotional oder setzte diese Emotionalität in Szene. Aber das gilt oder galt eben nicht als Attribut der Autorität. Tage und noch Jahre danach, sprach man über den Wutausfall von Ségolène Royal und übernahm vollkommen die damalige Argumentation von Nicolas Sarkozy, der sie belehrte und herablassend erklärte, dass man als Präsident "ruhig bleiben sollte".

Immerhin hatten wir schon mal eine Premierministerin: Edith Cresson im Jahre 1991. Sie gab 11 Monate später auf. Ein Rekord. Ich war erst 13 Jahre alt, aber ihre Nominierung prägte meine Jugend, weil es die erste und die einzige Frau war, die einen solchen Posten in Frankreich bekam. Ich kann mich noch an die Spötteleien erinnern, die ich über sie zuhause und sonst wo hörte. Sie hatten alle den selben Grundton: ihr die Kompetenz abzusprechen. Man kann ihr sicher Fehler und eine tollpatschige Kommunikation vorwerfen, der Exzess der sexistischen Attacken, der auf sie fiel, suchte aber Seinesgleichen. Wenn eine Frau auf Spitzenposten Fehler macht, ist die Reaktion maßlos. Nach dem Motto, "wir geben dir eine einzige Chance". Es gibt so viele ähnliche Geschichten von Frauen, die kurze Zeit nach ihrer Amtsübernahme, schnell unpopulär werden, weil die Fehler ein ganz anderes Gewicht als das der männlichen Kollegen bekommen.

 

Frauenpower und Matriarchat

 

Nun gibt es trotzdem Grund zum Optimismus: immer mehr Frauen prägen den öffentlichen Raum und übernehmen Spitzenposten. Im Zuge der neuen Regierungsbildung spricht man jetzt in Deutschland über Frauenpower und Matriarchat. In einem Artikel erklärte vor kurzem der Spiegel , dass "Merkels Kanzlerschaft das Verhältnis der Geschlechter in der Politik verändert, mehr vielleicht als Feminismus und Frauenquoten". Ihr ruhiger, pragmatischer, sachlicher Ton hat Deutschland sehr geprägt. Ob es ein weiblicher Stil ist? Und spiegelt dieses Bild der Frauenpower eine tiefe gesellschaftliche Veränderung wieder? Noch wird der öffentliche und private Diskurs männlich geprägt. In den seltensten Fällen hält die Braut eine Rede bei einer Hochzeit. Wenn Familienfeier stattfinden, spricht meistens der Familienpatriarch oder eben der Ehemann. In Unternehmen haben Frauen seltener das letzte Wort. Wenn Frauen öffentlich reden, tun sie es meistens auf eine Art, die ihr Unbehagen in dieser Rolle vermittelt. Sie sprechen schnell, lesen vom Blatt ab, improvisieren selten, geniessen nicht unbedingt die Aufmerksamkeit des Publikums. In ihrem Essay zeigt Mary Beard, dass die Frauen, die sich in der Vergangenheit öffentlich äußern durften, das nur tun konnten, wenn es sich um Frauenthemen handelte oder um ihren Opferstatus zur Schau zu stellen. 

Es stellt sich die Frage, ob Angela Merkel als "Role Model" für Frauen und Mädchen taugt. Da sie sich nie als Frauenpolitikerin stilisieren wollte, ist es nicht sicher, dass sie in den Augen von vielen Frauen eben nicht als "politischer Mann" wahrgenommen wird. Die britische Historikerin stellt fest, dass uns ein Modell für das Erscheinungsbild einer mächtigen Frau fehlt. Aus ihrer Sicht sind die Hosenanzüge von Angela Merkel und Hillary Clinton Teil einer Taktik "um das Weibliche männlicher wirken zu lassen und sich so besser an die Rolle der Macht anzupassen". Als Theresa May nach der Wahlkatastrophe vom Juni 2017 weinte, wurde sie belächelt. Ich finde eher beruhigend, wenn Politiker ihre menschlichen Seiten zeigen können. Ein solches Verhalten wird eher weiblich eingeordnet. Aber das ist nicht das Entscheidende. Viel wichtiger wäre, dass man nicht ausschliesslich eine kühle und autoritäre Haltung zeigen muss, um ernst genommen zu werden, sondern, dass das emotionale, menschliche und teamdenkende Verhalten genauso anerkannt wird. Wenn Historiker in den nächsten Jahrzehnten auf die Ära Merkel zurückblicken und sie vor allem als "Flüchtlingskanzlerin" verewigen werden, wird man in der Tat behaupten können, dass sie den Begriff Macht nachhaltig anders geprägt hat.